Anmerkungen zur Geschichte der Internationalen
| SPANISHSKY.DK 23. APRIL 2019 |
Von Allan Christiansen/Übersetzung (aus dem Englischen) vom Freundeskreis der XI. Internationalen Brigade
Pierre Chrétier Degeyter und der Arbeiterchor La Lyre des Travailleurs
Pierre Chrétier Degeyter wurde am 8. Oktober 1848 in Gent (Belgien) geboren. Im Alter von zehn Jahren begann er nach dem Umzug der Familie nach Frankreich in den Textilfabriken von Lille zu arbeiten. Degeyter besuchte eine Abendschule für Arbeiter, um seine Fähigkeiten zu entwickeln. Früh zeigte sich sein musikalisches Talent und ab dem Alter von 17 Jahren unterhielten er und sein Bruder Adolphe die Arbeiter neben fremden auch mit eigenen Melodien und Texten.
Als der Deutsch-Französische Krieg ausbrach (1870), wurde Degeyter zur französischen Armee eingezogen. Er versuchte nach dem Zusammenbruch der Front nach Frankreich durchzukommen, dahin, wo kürzlich die Pariser Kommune gegründet worden war (18. März 1871). Er wurde jedoch von Herzog Magentas Soldaten vor der Stadt festgenommen, nach Nordfrankreich gebracht und später freigelassen. Wie er mit seinem Leben davon kam ist nicht bekannt.
In den folgenden Jahren arbeitete Pierre Degeyter in der Modellwerkstatt der Eisengießerei Compagnie Fives-Lille in Lille. In diesen Jahren war die Stadt geprägt von einem hohen Maß an politischer Aktivität, eine Brutstätte von Arbeitervereinigungen politischer, informativer und unterhaltsamer Natur.
Zu den zahlreichen Vereinigungen, die sich in dieser Zeit gebildet hatten, gehörte der Arbeiterchor-Verein La Lyre des Travailleurs. Pierre Degeyter, der für seine musikalischen Fähigkeiten bekannt war, wurde zum Chorleiter gewählt. Es war tatsächlich ein politischer Posten von erheblicher Bedeutung, wenn wir die Bedeutung politischer Lieder zu dieser Zeit betrachten.
Chants Révolutionnaire
Als Chorleiter war Degeyter ständig auf der Suche nach Texten die er mit seinem Chor vertonen und proben konnte. Gustave Delory, einer der Führer der französischen sozialistischen Arbeiterpartei, interessierte sich für den Chor. Im Jahr 1928 erzählte Degeyter einem Journalisten von einem späteren Abend in der Chorgesellschaft: „An einem Samstagabend im Sommer 1888 erschien Delory beim Chor La Lyre des Travailleurs. Als wir uns nach der Probe trennten, kam Delory auf mich zu und sagte: „Ich habe eine Sammlung von Gedichten des verstorbenen Eugene Pottier. Schau es dir an, du findest vielleicht etwas brauchbares. Wir haben kein Revolutionslied und du hast die Fähigkeit eines zu schreiben.”
Sobald ich nach Hause kam zog ich das kleine Buch aus der Tasche und öffnete zufällig die Seite auf der ein Gedicht mit dem Titel Internationale stand.” Das Buch von Eugene Pottiers war Chants Révolutionnaire (‘Revolutionäre Lieder’) und 1887 von ihm veröffentlicht worden. Delory hatte es durch Zufall erhalten und er erkannte sofort, dass dies etwas Außergewöhnliches war, dass es verdient hatte sofort bekannt zu werden.
Das Gedicht Internationale wird zum Lied
In dieser Samstagnacht (16. Juni 1888) las Degeyter die Gedichtsammlung von Eugène Edine Pottier. Er zweifelte nicht daran, dass die Internationale die Pottier während der ‘blutigen Woche’, dem Untergang der Pariser Kommune (21.-28. Mai 1871) schrieb, das Gedicht war, die augenblicklichen Realitäten am eindringlichsten beschrieb. In dieser Nacht schrieb Degeyter einen Entwurf der Melodie. Indem er den Eröffnungsvers in einen Refrain verwandelte, endete er mit einem Lied von sechs Versen anstatt den ursprünglichen sieben Versen. Am nächsten Tag vollendete er die Musik für den Refrain. Am Montagmorgen in der Eisengießerei wollten einige seiner Kollegen und Mitglieder vom Chor wissen, was er über das Buch von Delory denkt. Degeyter sagte ihnen, dass er ein Lied geschrieben habe und sie stimmten zu sich nach der Arbeit im Café Liberty, (dort war ein Klavier) zu treffen und das Lied zu hören.
Am 18. Juni 1888 sang Degeyter in ‘der Liberty’ in der Rue de Vignette Die Internationale für drei Gießereiarbeiter. Seine Kameraden waren sofort begeistert von dem Lied und es wurde beschlossen das Lied so schnell wie möglich zu proben. Den Rest der Woche hat Degeyter das Lied mit dem Chor La Lyre des Travailleurs geprobt. In der Nacht zum 23. Juni wurde das Lied bei einem Fest für die Zeitungsverkäufer der Arbeiterpartei uraufgeführt.
Das Lied war ein Erfolg und die Arbeiterpartei in Lille beschloss 6.000 Flyer des Liedes zu drucken. Sowohl der Dichter als auch der Komponist wurden namentlich erwähnt, Eugène Pottier als Dichter und Degeyter (ohne Vornamen) als Komponist. Vielleicht wollten sie den Komponisten vor möglichen Repressalien schützen, weil das Lied rebellisch ist? Wir wissen es nicht genau. Wir wissen jedoch, dass die unvollständige Nennung zu einem tragischen Bruderkampf geführt hat.
(Das Versäumnis, den Vornamen des Komponisten anzugeben, ermöglichte Pierre’s Bruder Adolphe Anspruch auf das Urheberrecht an der Musik zu erheben. Unterstützt wurde er vom Bürgermeister Delory, der sich zu einem rücksichtslosen Opportunisten entwickelt hatte. Das folgende Verfahren endete zu Gunsten Adolphes. Während des Ersten Weltkriegs beging Adolphe Selbstmord. Er hinterließ einen Brief aus dem hervorgeht, dass er wegen des wirtschaftlichem Vorteil der sich aus dem Urheberrecht ergab von Delory unter Druck gesetzt wurde und sich deshalb als Komponist von Die Internationale ausgab. Bei einem neuen Prozess im Jahr 1922 wurde Pierre Degeyter als legitimer Komponist anerkannt: In verschiedenen Publikationen erscheint der nicht richtige Name des Komponisten, so auch peinlicherweise in Forlaget Tiden‘s (dänischer Verlag) „Folkets Sangbog“ („Volksliedbuch”) von 1947.
In der Geschichte der Menschheit ist dieses Lied, das aus dem Treffen dieser gleichermaßen genialen und bescheidenen Arbeiter entstanden ist, in Umfang und Tiefe unvergleichlich. Keine andere Musik, kein anderes Lied hat jemals dieses Niveau an Schönheit und Bedeutung erreicht
Marcel Cachin
Die Arbeiter erkannten schnell, dass Die Internationale ein Lied war, das die Essenz ihrer Bedingungen und Bestrebungen einfing. Die Behörden erkannten ebenso schnell die Bedrohung die von dem Lied für den augenblicklichen Zustand der Gesellschaft ausging. Im Jahr 1894 veröffentlichte ein Lehrer namens Armand Gosselin eine neue Version von “Die Internationale”. Er wurde angeklagt und zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Begründet wurde das Urteil damit, dass er zur „militärischen Insubordination„ im Vers fünf ermutigt habe. Dieser Versuch das Lied zu unterdrücken hatte genau den gegenteiligen Effekt. Der Prozess gegen Gosselin verstärkte das Interesse an dem Lied. Nichts konnte Die Internationale aufhalten.
Von der offiziellen Hymne der französischen Arbeiter zur Hymne der internationalen Arbeiterklasse
Vom 3. bis 8. Dezember 1899 fand in Paris der erste gemeinsame sozialistische Kongress in Frankreich statt. Die Gefühle in dieser Versammlung waren hoch und repräsentierten so viele verschiedene sozialistische Ansichten. Insbesondere eine Frage provozierte Kontroversen: Sollten sich Sozialisten an einer konservativen Regierung beteiligen?
Der Streit entstand durch die Teilnahme des Sozialisten Millerand an der konservativen Regierung Waldeck-Rosseau, in der der Scharfrichter der Pariser Kommune, Galliffet, Kriegsminister war. Der Kongress versank im Chaos. Am letzten Tag des Kongresses riefen die Leute in der Aula, “Die Internationale, Die Internationale“! Laut dem Kongressprotokoll passierte folgendes: „Bannerträger betreten die Bühne. Bürger Ghesquière betritt die Bühne und singt Die Internationale. Die Anwesenden im Saal singen begeistert mit.“ Die Internationale war zur offiziellen Hymne der französischen Arbeiter geworden.
Im Jahr 1900 wurde in der ersten Ausgabe der russischen marxistischen Zeitung Iskra (‘Der Funke’) die französische Version von Die Internationale abgedruckt. 1902 folgte die schwedische Übersetzung des Journalisten Johan Menander, die ein paar Jahre in Dänemark verwendet wurde, bis Lycinka Hansen sie 1906 ins Dänische übersetzte. Die Weihnachtsausgabe Social-Demokraten (sozialdemokratische dänische Zeitung) aus dem Jahr 1911 enthielt die dänische Übersetzung von Hans Laursens, die wir in Dänemark heute singen. (Die deutsche Version von Emil Luckhardt)
Dein unsterbliches Lied hat deinen Namen in alle vier Ecken der Welt getragen
Pierre Degeyter starb am 26. Oktober 1932. Er wurde auf dem Friedhof von Seine-Saint-Denis beigesetzt, gefolgt von 50.000 Menschen und dem Lied der Internationalen. Das Begräbnis wurde vom Führer der französischen kommunistischen Partei, Marcel Cachin angeführt. Wir schließen diese Anmerkungen zur Geschichte von Die Internationale mit einem Auszug aus Cachins Rede ab:
„Ein letztes Grußwort an den treuen Genossen Pierre Degeyter. Der alte Mann mit den unschuldigen und lebhaften Augen eines Künstlers den wir bis vor kurzem auf der Straße treffen konnten, gehörte zur Dynastie der großartigen Barden […]. Und eine seiner Kompositionen erreichte Höhen, die kein anderer Künstler erreichen konnte.
Als eine Sammlung von Eugène Pottiers Gedichten in seinen Besitz kam, wählte er dieses besondere Gedicht nicht nur, weil es sich als am besten geeignet erwies, um Musik zu machen, sondern weil es mit der gleichen revolutionären Potenz und dem rebellischen Klassenbewusstsein ausgerüstet war wie Eugène Pottier selbst und diese stille Flamme.
In der Geschichte der Menschheit ist dieses Lied, das aus dem Treffen dieser gleichermaßen genialen und bescheidenen Arbeiter entstanden ist, in Umfang und Tiefe unvergleichlich. Keine andere Musik, kein anderes Lied hat jemals dieses Niveau an Schönheit und Bedeutung erreicht.
Dieser Mann, der uns an einem einzigen inspirierenden Tag solch eine mächtige Waffe und ein Bollwerk der Einheit geschenkt hat, verdient einen herzlichen Dank der gesamten internationalen Arbeiterklasse.
Pierre Degeyter, treuer Revolutionär, treuer Arbeiter ohne Irrtümer und Laster, Du, der bescheiden in alltägliche, fast unbekannte Städte Einlass fand die Dich nicht kannten und an denen Du das menschliche Leiden und den Zorn weitergegeben hast, ruhe in Frieden.
Dein Name wird nicht vergessen. Dein unsterbliches Lied hat es in alle Ecken der Welt getragen.“
Dies ist das Ende unserer Anmerkungen zur Geschichte von Die Internationale, aber wir haben eine kleine Überraschung für euch. Folgt dem Link und scrollt zum Videosymbol. Genießen!
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