„Dokumente des Widerstands“ – Der dänisch-deutsche Widerstand im Zweiten Weltkrieg
| SPANISHSKY.DK 15. JUNI 2020 |
Textauszug über den dänisch-deutschen Widerstand im 2. Weltkrieg aus einer Serie von Artikeln über den Widerstandskampf der Wasserkante aus der Hamburger Volkszeitung, Juli bis Oktober 1947, Archiv der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Hamburg
Von Alfred Drögemöller
Ratlosigkeit im dänischen Gestapo-Hauptquartier
Das kleine dänische Volk, dessen Haltung so gar nicht dem „heroischen Ideal“ einer prahlerischen und anmaßenden „nationalsozialistischen Weltanschauung“ entsprach, dessen Friedensliebe und weltweite Toleranz als Schwäche und Degneration ausgelegt wurde, war von der Hitler-Regierung ausersehen, eine besondere Rolle zu spielen. Hier sollte ein Musterprotektorat geschaffen werden, das den europäischen Völkern die Vorteile vorexerzierte, die den Ländern im Rahmen der hitlerischen „Neuordnung Europas“ zugedacht waren, deren Bevölkerung sich bereit fand, sich widerstandslos den Wünschen und Interessen des deutschen Imperialismus unterzuordnen. Dänemark jedoch wollte nicht eine Rolle übernehmen, die einmal als der Kanarienvogel des Raubmörders bezeichnet wurde.
Es entwickelte sich eine Widerstandsbewegung, die bei den Verantwortlichen der Besatzungsmacht Erstaunen und Ratlosigkeit hervorrief. Es gab keinen Betrieb, der mit deutschen Aufträgen beschäftigt war, der nicht zerstört oder lahmgelegt wurde, es verging kein Tag, an dem nicht die Eisenbahnlinien an Hunderten von Stellen gesprengt wurden, die Mitglieder der fünften Kolonne, die dänischen Nazis und die Gestapo-Beamten riskierten täglich, den wohlgezielten Kugeln der Freiheitskämpfer zum Opfer zu fallen.
(Unsere Genossen, denen es in der Stadt Odense gelang, sich in das Telephonnetz des Gestapo-Hauptquartiers einzuschalten und die Gespräche abzuhören, wodurch sie manchen vor der Verhaftung bewahrten, konnten sich von der schlotternden Furcht, die diese Helden ergriffen hatte, überzeugen.) Das war ein Feind, der nirgends sichtbar und doch überall war, den man nicht erkannte, den man nicht fassen konnte, der bis in die Amtsstuben der deutschen Behörden und Wehrmachtskommandos eindrang, der immer dann und dort in Aktion trat, wo er nicht erwartet wurde, der Unsicherheit und Panik verbreitete, das war ein Feind, gegen den die Gestapo unterliegen mußte.
Das war ein Feind, der nirgends sichtbar und doch überall war, den man nicht erkannte, den man nicht fassen konnte, der bis in die Amtsstuben der deutschen Behörden und Wehrmachtskommandos eindrang, der immer dann und dort in Aktion trat, wo er nicht erwartet wurde, der Unsicherheit und Panik verbreitete, das war ein Feind, gegen den die Gestapo unterliegen mußte.
Verbindungen zur Wehrmacht
Dr. Best – auch in Dänemark bekannt als der „Bluthund von Paris“ – und seine Mitarbeiter vertraten das nazistische Deutschland. Unsere Aufgabe konnte nur sein, diesem „offiziellen Deutschland“ das andere, das wahre, das zukünftige Deutschland entgegenzustellen. Wir mußten im Namen all jener handeln, die erkannt hatten, daß Hitler den Weg der Zerstörung der nationalen Existenz Deutschlands beschritten hatte. Es ging um Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes. Darum konnten wir nicht vom Gesichtspunkt kommunistischer Parteiinteressen ausgehen, sondern unsere Arbeit ausrichten auf die Herstellung der Zusammenarbeit mit allen Deutschen, die für die Beendigung des Krieges und den Sturz des Hitler-Regimes eintraten.
Es war in den ersten Jahren nicht leicht, Verbindungen zu deutschen Soldaten oder zu Mitgliedern der deutschen Kolonie anzuknüpfen. Der Glaube an den Sieg war noch zu stark. Antifaschisten fühlten sich noch so stark mit ihren Auffassungen in ihren Einheiten isoliert, daß viele nicht wagten, Farbe zu bekennen oder gar unsere Flugblätter und Materialien mit in die Kasernen zu nehmen.
Wir waren zu Anfang darauf angewiesen, diese ziemlich wahllos zu verteilen: in den Eisenbahnen, in den Restaurationen, die von Wehrmachtsangehörigen besucht wurden, auf deutschen Flugplätzen usw.
Systematisch wurden Adressen gesammelt von Familien, bei denen Soldaten ein- und ausgingen. Alles das mußte unter Beachtung der größten Vorsicht geschehen, weil ein großer Teil, besonders der jüngeren Jahrgänge, offen ihre Verachtung und Empörung über die Flugschriften zum Ausdruck brachte.
Eine besondere Schwierigkeit ergab sich aus der Tatsache, daß Dänemark von der Wehrmacht als eine Art Urlaubsland benutzt wurde, in das Einheiten kamen, die vorübergehend von der Front zurückgezogen wurden. Erst in zäher, geduldiger Arbeit gelang es, eine ganze Reihe fester, regelmäßiger Verbindungen zu Einheiten der Wehrmacht herzustellen, die für eine längere Dauer im Lande waren.
Offiziere gegen Hitler
Einen entscheidenden Anstoß erhielt die Arbeit unter den Angehörigen der Besatzungsmacht, als die Tätigkeit des Nationalkomitees „Freies Deutschland“, deren Leitung u.a. General v. Seydlitz angehörte, bekannt wurde. Aus Besprechungen mit einer Reihe von antifaschistisch eingestellten Offizieren erkannten wir, daß in diesen Kreisen besonders das Problem, ob es mit der Offiziersehre zu vereinbaren sei, den auf Hitler geleisteten Eid zu brechen, wenn die Erkenntnis von der unheilvollen, den Bestand der Nation bedrohenden Politik Hitlers vorhanden ist.
Wir beschlossen, zu dieser Frage eine besondere, für die Offiziere geschriebene Broschüre (24 Seiten) herauszugeben, in der u.a. die Haltung und Rolle des Freiherrn vom Stein [1], Ernst Moritz Arndts, Yorks [2] usw. während der Freiheitskriege des Jahres 1812/13 behandelt wurde. Diese Broschüre hat in weiten Kreisen der Offiziere große Diskussionen ausgelöst und es war uns eine große Freude, noch ein Jahr später Leute zu finden, die die Broschüre gelesen hatten und stark von ihr beeindruckt worden sind.
2000 Zeitungen vervielfältigt und verteilt
Eines Tages legte einer unserer Genossen uns eine Nummer der von uns monatlich (später 14tägig) herausgegebenen „Deutschen Nachrichten“ vor. Wir wollten unseren Augen nicht trauen. Der Inhalt dieser Zeitung war uns bekannt, das waren die von uns geschriebenen Artikel und Aufrufe. Aber diese Nummer war nicht von uns hergestellt. Sie mußte also abgeschrieben und vervielfältigt worden sein. Natürlich tauchte der Gedanke auf, die Gestapo könnte dahinter stecken. Es wurde beschlossen, mit äußerster Vorsicht daranzugehen, die Herkunft dieser Zeitung festzustellen.
Einige Tage vergingen, dann meldete der damit beauftragte Genosse, sie sei in der Stadt Aarhus bei einem dänischen Fabrikanten von einem deutschen Soldaten der Luftwaffe abgeschrieben und abgezogen worden, und zwar in einer Auflage von 2000 Exemplaren.
Über die dänische Widerstandsbewegung eingeholte Nachrichten teilten mit, der betreffende Däne sei „in Ordnung“. Unser Genosse fuhr nach Aarhus und es gelang ihm, den Gesuchten zu finden. Er war Österreicher, Geschäftsmann und Sohn eines Wiener Professors. Ein Mann, der von glühendem Haß gegen die Nazis durchdrungen war. Er hatte zufällig die „Deutschen Nachrichten“ in die Hand bekommen und sich kurzerhand entschlossen, auf eigene Faust für die Verbreitung dieser Zeitung zu sorgen. Er hatte sich auf die Eisenbahn gesetzt und in den Städten Aalborg, Viborg, Horsens, auf dem Flugplatz Kastrup usw. im Verlaufe einiger Tage die 2000 Zeitungen, ohne gefaßt zu werden, verteilt.
Dolmetscher als Kuriere
Im ganzen Jahre 1944 waren wir in der glücklichen Lage, unsere Reisen, die nicht ungefährlich waren, weil die Züge und Bahnhöfe einer scharfen deutschen Kontrolle unterstanden, einschränken zu können.
Wir stießen bei unserer Arbeit auf zwei Soldaten, die ausgezeichnet dänisch sprachen und darum als Dolmetscher verwandt wurden und außerdem verpflichtet waren, über das Land und die Bevölkerung Dänemarks Vorträge zu halten.
Das Merkwürdige war, daß sie keiner Einheit direkt angeschlossen waren, sondern direkt einem hohen Offizier des Reichsluftfahrtministeriums unterstanden. Als wir nach dem Grund fragten, lächelten sie und erzählten, daß sie das auch bis vor wenigen Tagen nicht verstanden hätten, daß sie jetzt aber von Berlin bestimmte Aufträge erhalten hätten, die Herren dort mit größeren Mengen dänischer Butter, Speck usw. zu versorgen.
Selbstverständlich beschlossen wir, daß sie diese Aufträge ausführen sollten. Für uns hatten diese beiden übrigens marxistisch geschulten und politisch erfahrenen Leute darum eine ungeheure Bedeutung, weil sie ohne Kontrolle in Dänemark lebten und in der Lage waren, sich selber Marschbefehle auszustellen. Bessere und noch sicherer reisende Kuriere haben wir nie gehabt.
Vor der Kapitulation
In den Monaten, die der Kapitulation vorausgingen, zeigten sich innerhalb der Wehrmacht starke Zersetzungserscheinungen. Überall unter den Soldaten wurde diskutiert, ob der sinnlose und verbrecherische Krieg bis zum letzten Mann weitergeführt, ob auch Dänemark Kriegsschauplatz werden sollte.
Desertieren wurde eine Massenerscheinung. Bezeichnend war, daß es möglich wurde, Flugblätter, die zur Beseitigung der Gestapo und der Kriegsverlängerer aufforderten, offen auf den Straßen an die Soldaten zu verteilen, ohne daß diese dagegen einschritten, oder von der Waffe Gebrauch machten.
Unter der Besatzung der Forts, die vor Kopenhagen liegen, hatten sich Gruppen gebildet, die für den Fall einer Invasion oder des Aufstandes der dänischen Widerstandsbewegung bereits die Aufgaben verteilt hatten, um die Offiziere zu entwaffnen und festzusetzen.
Als der Kommandant der Zitadelle [3] seine Mannschaften antreten ließ, um in einer Ansprache zu verkünden: „die Zitadelle ist unser Grab“, waren wir imstande, schon wenige Stunden später gerichtete Flugblätter zu verteilen, in denen dem Kommandanten mitgeteilt wurde, daß die Soldaten der Zitadelle nicht gewillt seien, das Grab mit ihm zu teilen.
Zahllose Beispiele gab es, daß selbst hochstehende Offiziere sich mit der illegalen dänischen Widerstandsbewegung über ein gemeinsames Vorgehen beim Ausbruch offener Kampfhandlungen verständigt hatten. In Kopenhagen waren in den letzten Monaten die Mauern, Anschlagsäulen usw. vollgeklebt mit Aufrufen an die Soldaten. Wochenlang wurde täglich eine Zeitung mit den letzten Mitteilungen von den Fronten in großer Auflage geklebt. Die Flugblätter und Zeitungen der Bewegung „Freies Deutschland“ wurden zu zehntausenden hergestellt und zum großen Teil offen verteilt.
Standhafte Antifaschisten
Der Kampf, den deutsche Kommunisten allein begannen und organisierten, der dann gemeinsam mit mutigen und einsatzbereiten Männern aus der Wehrmacht und der deutschen Kolonie, die aus allen Schichten des Volkes stammten, geführt wurde, hat Opfer gekostet.
Besonders seien genannt: Konrad Blenkle, der 1943 in Plötzensee hingerichtet wurde. Es gehörten zu den besten und fähigsten Funktionären der Kommunistischen Partei: Karl Nieter, der jahrelang in kurzen Abständen nach Deutschland fuhr, um den Kampf der Genossen zu unterstützen; Willi Boller, der gegenüber allen Versuchen der Gestapo, ihn zur Preisgabe von Adressen „reif“ zu machen, fest blieb und hingerichtet wurde.
Der Kampf der deutschen Antifaschisten in Dänemark aber hat nicht allein dazu beigetragen, daß es den Naziverbrechern nicht gelungen ist, ihr Ziel zu erreichen, den Kampf auch nach der Kapitulation fortzusetzen, vor allem hat ihre Tätigkeit und ihr Einsatz dem dänischen Volke gezeigt, daß es zahlreiche Deutsche gegeben hat, die den Kampf gegen die Nazityrannei führten, daß neben Hitler-Deutschland ein anderes Deutschland existierte.
Notizen:
[1] Freiherr vom Stein, sein vollständiger Name lautet Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein.
[2] Wahrscheinlich bezieht er sich auf Ludwig Yorck von Wartenburg.
[3] Zitadelle auf dänisch: Kastellet. Während der Besetzung Dänemarks benutzte die Wehrmacht Kastellet als Hauptquartier.
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