Die Geschichte vom 1. Mai
| SPANISHSKY.DK 14. OKTOBER 2020 |
Wenn wir den 1. Mai feiern, nehmen viele Menschen ihn lediglich als Tradition wahr. Sie haben vielleicht eine vage Vorstellung davon, worum es dabei geht, ohne viel darüber nachzudenken [1]. In Kopenhagen versammeln sich die Menschen traditionell in verschiedenen Teilen der Stadt und gehen dann in Umzügen mit roten Fahnen und mit Musik zum eigentlichen Veranstaltungs-ort, dem Fælledparken (einem öffentlichen Park in Kopenhagen). Aber warum feiern wir diesen Tag? Und wann wurde er zum Internationalen Tag der Arbeit?
Von Allan Christiansen/Übersetzung (aus dem Englischen) vom Freundeskreis der XI. Internationalen Brigade
1866 nahm der Kongress auf der Ersten Internationalen (Internationale Arbeitervereinigung) in Genf den Vorschlag des Generalrats zur Begrenzung des Arbeitstags an:
“Die gesetzliche Begrenzung des Arbeitstages ist eine Vorbedingung, ohne die sich alle weiteren Versuche zur Verbesserung und Emanzipation der Arbeiterklasse als gescheitert erweisen müssen […] “Der Kongress schlägt acht Stunden als gesetzliche Begrenzung des Arbeitstages vor” [2].
Mit der Formulierung der Forderung nach dem Achtstundentag präsentierte die Erste Internationale den Arbeitern ein gemeinsames Ziel in ihrem Kampf für bessere Bedingungen. Seit vielen Jahren und bis heute ist dies einer der Slogans, unter denen die Arbeiterinnen und Arbeiter in der ganzen Welt demonstrieren.
Die Vorläufer des 1. Mai
Der Kampf für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen hat inzwischen ein neues Ziel erreicht. Seit wir gelernt haben aufrecht zu gehen, kämpfen die Menschen für menschenwürdige Lebens-bedingungen. Die Industrialisierung hat die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft umfassend radikalisiert und klare Fronten zwischen „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ gezogen [3].
Angesichts der frühen und raschen Industrialisierung ist es kaum verwunderlich, dass die Idee und Forderung nach dem Achtstundentag in England formuliert wurde. Die „Arbeitgeber“ weigerten sich im Allgemeinen, den Forderungen der „Arbeitnehmer“ nachzukommen, und ihre Antwort bestand darin, jeden „Arbeitnehmer“ auszuschließen, der nicht bereit war, sich den festgelegten Bedingungen zu unterwerfen.
Viele Arbeiter, die um ihren Lebensunterhalt kämpften, hatten keine andere Wahl, als in die Neue Welt, nach Amerika, Australien und Neuseeland auszuwandern.
“Wir waren die ersten in …”
Es mag nicht ganz falsch sein, wenn Neuseeland behauptet, das erste Land der Welt zu sein, das den Achtstundentag einführt und ihn später zum Gesetz erhoben hat. Initiator für den Kampf für den achtstündigen Arbeitstag war ein Zimmermann und Tischler namens Samuel Duncan Parnell.
Er kam im Februar 1840 mit dem ersten Schiff, das britische Emigranten beförderte, in Wellington an.
Parnell weigerte sich für einen ortsansässigen Kaufmann ein Lagerhaus zu bauen, wenn der Arbeitstag länger als acht Stunden dauert. Da nur drei Zimmerleute in der Gegend wohnten, hatte der Händler keine andere Wahl, als die Forderung zu akzeptieren. Jedes Mal, wenn ein neues Schiff mit Auswanderern anlegte, war Parnell vor Ort und erklärte den Zimmerleuten und anderen Arbeitern, wie die Arbeitsbedingungen sein sollten.
Bald wurde ein achtstündiger Arbeitstag in verschiedenen Arbeitsbereichen als normaler Arbeitstag angesehen. Auch in anderen Teilen Neuseelands gelang es den Arbeitern, ihre Forderungen durchzusetzen; 1848 in Dunedin unter der Leitung des Anstreichers Samuel Shaw und 1857 in Auckland unter der Leitung William Griffin, einem anderen Anstreicher.
Australien
Bald folgte Australien. Bereits in den Jahren 1855-56 hatten die Maurergewerkschaft in Sidney und die Bauarbeitergewerkschaft in Melbourne ihre Forderungen mit Streiks, Demonstrationen und anderen Arten von Protesten und Aktionen durchgesetzt. Ihre Losung lautete:
“Acht Stunden arbeiten,
acht Stunden Freizeit.
Acht Stunden zum Schlafen und
acht Schilling pro Tag”.
Das heißt, zehn Jahre bevor der Kongress der Ersten Internationale die Forderung nach einem Acht-Stunden-Arbeitstag formulierte, hatten die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter in Australien dies im Großen und Ganzen erreicht und den 1. Mai als Ruhetag gefeiert.
Tag der Arbeit
Ebenso hatten die englischen Arbeiter seit Mitte des 19. Jahrhunderts den 1. Mai unter der Losung einer Arbeitszeitverkürzung begangen. Etwa zur gleichen Zeit hatten die Arbeitergewerkschaften in Amerika ihren “Labour Day” ins Leben gerufen, der von den meisten Gewerkschaften am 1. Mai begangen wurde. An diesem Tag nahmen sich die Arbeiter den Tag frei und machten ihn zu einem nationalen Festtag.
Die Art den 1. Mai zu feiern ändert sich
Aufgrund der raschen und umfassenden industriellen Entwicklung und der damit einhergehenden steigenden Zahl von Industriearbeitern wurde der Tag der Arbeit allmählich zu einem politischen Aktionstag. Dank ihrer politischen und wirtschaftlichen Forderungen schärfte sich ihr Klassenbewusstsein.
1884 verabschiedeten und erklärten die Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen der Vereinigten Staaten und Kanadas auf ihrem Kongress in Chicago die Einführung des Achtstundenarbeitstages als Hauptforderung der Arbeiter aufzustellen. Als Frist für die Umsetzung der Forderung wurde der 1. Mai 1886 festgelegt.
Die Resolution wurde von den Arbeitern begeistert begrüßt [4]. Am 1. Mai 1886 demonstrierten allein in Chicago mehr als 366.000 Arbeiter für die Einführung des Achtstundentages und der Sechs-Tage-Woche. Die Entschlossenheit der Arbeiter zeigte starke Wirkung auf die Arbeit“geber“. Viele Unternehmen erklärten sich bereit, der Forderung der Arbeiter nachzukommen.
Der verlängerte Arm der Fabrikbesitzer
Nicht alle Unternehmen kamen jedoch der Forderung der Arbeiter nach. Die große McCormick Reaper-Fabrik weigerte sich zu verhandeln und hatte seit Februar desselben Jahres Aussperrungen verhängt. Die Fabrikleitung provozierte die Beschäftigten durch die Einstellung von Streikbrechern. So initiierten die Arbeiter am 3. Mai 1886 eine Protestkundgebung vor der Fabrik. Hier würden sie die Streikbrecher am Ende des Arbeitstages empfangen. Als die Streikbrecher die Fabrik verließen, griff die Polizei die Demonstranten mit Knüppeln und Schusswaffen an. Viele wurden verletzt und “einige” getötet.
Die Kundgebung auf dem Haymarket Square
Am nächsten Tag, dem 4. Mai 1886, organisierten die Gewerkschaften eine Kundgebung auf dem Haymarket Square, um zu demonstrieren und gegen die Brutalität der Polizei zu protestieren. Etwa 2000 Menschen nahmen an der Kundgebung teil und hörten sich die Reden an. Um etwa 10 Uhr abends begannen die meisten von ihnen den Heimweg anzutreten.
Zu diesem Zeitpunkt marschierten 180 Polizisten von einer nahe gelegenen Polizeistation auf den Platz und forderten die noch Versammelten auf, getrennte Wege zu gehen. Plötzlich explodierte neben den Polizisten eine Bombe. In der Dunkelheit bricht große Verwirrung aus, und die Polizei drückt Schüsse in alle Richtungen ab. Ein Polizist ist sofort tot, sieben starben später an ihren Verletzungen. „Einige“ Demonstranten sind tot und werden weggetragen.
Unseres Wissens ist es nicht möglich, Quellen zu finden, aus denen hervorgeht, wie viele Arbeiter an diesem Tag auf dem Haymarket Square getötet wurden. Im Gegensatz dazu weisen die Quellen darauf hin, dass acht Polizisten getötet wurden. Ihnen zu Ehren wurde sogar eine Statue aufgestellt.
Die Bewegung erlitt einen Rückschlag
Bald machte sich – angetrieben durch die Presse – eine Lynch-Stimmung breit. Die acht Organisatoren der Kundgebung wurden verhaftet und beschuldigt, den Mord an den Polizeibeamten geplant zu haben. Die Angeklagten glaubten, dass die Bombe von einem Provokateur geworfen wurde, der von den „Arbeitgebern“ gekauft worden war.
Soweit wir wissen, war dies nie mit Sicherheit bekannt, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie Recht hatten: Die Bombe tötete nicht nur Polizeibeamte und Arbeiter, sondern traf die gesamte Bewegung des Acht-Stunden-Tages mit einem vernichtenden Schlag und hinterließ für die kommenden Jahre einen Scherbenhaufen. Bereits im Oktober 1886 widerriefen alle „Arbeitgeber“, die die Vereinbarung über den Achtstundentag unterzeichnet hatten, dieselbige. Diejenigen, die nicht gewillt waren, unter den von den Arbeitgebern diktierten Bedingungen zu arbeiten, wurden entlassen.
“Unser Schweigen wird laut aufschreien…”
Die acht verhafteten Männer wurden vor Gericht gestellt. Einer der Angeklagten verstarb vor Abschluss des Prozesses, zwei wurden zu lebenslanger Haft und fünf zum Tode verurteilt. Einer der verurteilten Männer, Lewis (Louis) Lingg, beging in seiner Zelle Selbstmord. Die Namen der fünf Männer, die zum Tode verurteilt wurden, sind auf der Rückseite des Haymarket-Märtyrer-Denkmals auf dem Forest Home Cemetery in Chicago aufgeführt: Louis Lingg, George Engel, Adolph Fischer, Albert Parsons und August Spies (Herausgeber der Chicagoer Arbeiter-Zeitung).
Auf der Vorderseite des Denkmals sind diese Worte in Stein gemeißelt: “Der Tag wird kommen, an dem unser Schweigen mächtiger sein wird als die Stimmen, die Sie heute erwürgen”. Es waren August Spies’ letzte Worte am Galgen.
Die vier Männer Engel, Fischer, Parsons und Spies, die am 11. November 1887 hingerichtet wurden, sangen die Internationale, bevor sie gehängt wurden. Nach Augenzeugenberichten starben die Gehängten nicht sofort, sondern erstickten langsam [5].
Das Echo aus Europa
Vom menschlichen Standpunkt aus gesehen waren die Ereignisse auf dem Haymarket Square in Chicago eine ungeheure Tragödie. Und sie waren auch für die zukünftige Arbeit der nordamerikanischen Arbeiterbewegung eine Katastrophe. Doch die Opfer waren nicht umsonst. Indirekt waren sie der Grund dafür, dass die meisten Länder den Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse am 1. Mai feiern. Auf der Internationalen Arbeiterkonferenz in Paris 1889 unterbreitete der französische Delegierte Raymond Lavigne im Namen der französischen Gewerkschaften einen Vorschlag für eine starke Manifestation, um dazu beizutragen, die Forderung des Kongresses nach einem achtstündigen Arbeitstag durchzusetzen.
Die Resolution lautete:
Internationale Demonstration 1. Mai 1890
“Der Kongress beschließt, eine große internationale Demonstration zu organisieren, damit in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tag die werktätigen Massen von den staatlichen Behörden die gesetzliche Verkürzung des Arbeitstages auf acht Stunden sowie die Ausführung anderer Beschlüsse des Pariser Kongresses fordern. […] Die Arbeiter der verschiedenen Länder müssen diese Demonstration entsprechend den in jedem Land herrschenden Bedingungen organisieren” [6].
Die Entscheidung, am 1. Mai 1890 zu demonstrieren, war ein großer Erfolg, und in Dänemark demonstrierten die Arbeiter in Fælleden (dem “Gemeinsamen”) in Kopenhagen [7].
1. Mai eines jeden Jahres
Dies ist jedoch nicht das Ende der Geschichte des 1. Mai. Es war nicht die Absicht der Arbeiter zu demonstrieren, sondern ihre Arbeit niederzulegen und diesen besonderen 1. Mai zu feiern. Es sollte ein jährliches, internationales Ereignis sein. Und das war es auch, wenn auch nicht ohne die persönlichen Opfer der teilnehmenden Arbeiter. (Traurigerweise bringen die Arbeiter in einigen Teilen der Welt immer noch diese Opfer). Dieses Jahr feiern wir den 129. Jahrestag des Internationalen Tags der Arbeit – traditionell auch Kampftag der Arbeiterklasse genannt.
Zitate/Quellen:
[1] Für Klassenbewußte Arbeiter ist es nach wie vor der Internationale Kampftag der Arbeiterklasse.
[2] wikipedia.org: Acht-Stunden-Tag
[3] Die Übernahme von Vokabular wie Arbeitgeber, Arbeitnehmer, soziale Marktwirtschaft usw. verschleiert die kapitalistische Klassengesellschaft und dient in der Regel der Leugnung des antagonistischen Klassenwiderspruchs. Wir setzen es deshalb in in der deutschen Übersetzung in Anführungszeichen.
[4] Holst, Thorkild: “1. Majs Historie” (“Die Geschichte des 1. Mai”), 1941 Danmarks Kommunistiske Parti Arkiv (Archiv der Kommunistischen Partei Dänemarks)
[5] Eine besonders heimtückische Hinrichtungsmethode beim erhängen. Bewußt wird die Schlinge so um den Hals gelegt, dass kein Genickbruch erfolgt, sondern das Opfer qualvoll erstickt.
[6] Kommunistische Ghadar-Partei Indiens
[7] Der “Common” war ein viel größeres Gebiet als der heutige Fælledparken (“Common Park”), in dem der 1. Mai bis heute stattfindet.
[8] Bildunterschrift des dänischen Nationalarchivs (übersetzt aus dem Dänischen):
“Die Polizeikräfte in den Hauptstädten werden unweigerlich in die polizeiliche Überwachung politischer Ereignisse wie Staatsbesuche und nationale Feiern, Massendemonstrationen und politische Unruhen eingebunden sein. Es ist daher nicht überraschend, dass das Kopenhagener Polizeiarchiv reichlich Dokumente zu politischen Ereignissen enthält. Dies gilt insbesondere für das späte 19. Jahrhundert, in dem die dänische Gesellschaft von tief verwurzelten politischen Spannungen zwischen den rechten und linken politischen Kräften geprägt war. So enthält das Archiv beispielsweise ausführliche Berichte über sämtliche 1. Mai Demonstrationen in Kopenhagen ab dem Jahr 1890.
Dieses Foto, das von einer Demonstration am 1. Mai 1915 stammt, zeigt Demonstranten, die Transparente mit den Aufschriften „Nieder mit der Monarchie”, „Es lebe die sozialistische Republik”, und „Brecht ihre Säbel. Verjagt die Monarchie. Stürzt die Kirche“, trugen.
Bereits im April 1915 erkundigte sich der Kopenhagener Polizeidirektor beim Justizministerium, ob es rechtswidrig sei, solche Aussagen in der Öffentlichkeit zu dulden. Der damalige Justizminister C. Th. Zahle von der sozialliberalen Partei Dänemarks, vertrat die Ansicht, dass die Polizei solche Transparente nicht entfernen dürfe, es sei denn, sie verursachten Unruhe und Chaos.”
Dänisches Nationalarchiv, Polizei Kopenhagen, Sekretariat des Polizeidirektors, Ausgewählte Fälle, J.1, 1. Mai Demonstration von 1890-1922.
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