Die Lebensbedingungen auf Frachtschiffen
|SPANISHSKY.DK 5. JUNI 2017 |
Ein Beispiel für die Lebensbedingungen auf Frachtschiffen
Von Bertolt Brecht/Text und Illustration auf Spanishsky.dk von Rien Dijkstra
Das Gedicht “Abbau des Schiffes Oskawa durch die Mannschaft“ von Bertolt Brecht (1935)
Zu Beginn des Jahres 1922 nahm ich Heuer auf dem Sechstausendtonnendampfer Oskawa, gebaut vier Jahre vorher für zwei Millionen Dollar von der United States Shipping Board. In Hamburg nahmen wir Fracht, Champagner und Liköre nach Rio. Da die Löhnung schlecht war empfanden wir das Bedürfnis, unseren Kummer im Alkohol zu ersäufen.
So nahmen einige Kisten mit Champagner den Weg in die Mannschaftsräume. Aber auch in den Offiziersräumen selbst auf der Brücke und im Kartenraum hörte man schon vier Tage hinter Hamburg das Klingen der Gläser und die Gesänge sorgloser Leute. Mehrere Male irrte das Schiff von seinem Kurs ab. Dennoch Erreichten wir durch allerhand günstige Umstände Rio de Janeiro. Unser Schiffer zählte hundert Kisten Champagner weniger beim Ausladen. Da er jedoch keine bessere Mannschaft fand in Brasilien musste er sich weiter mit uns behelfen. Wir luden über tausend Tonnen Gefrierfleisch für Hamburg.
Wenige Tage auf See, übermannte uns wieder der Kummer über die schlechte Löhnung, das unsichere Alter, und einer von uns schüttete in der Verzweiflung viel zu viel Öl in die Kessel, und das Feuer schlug aus dem Schornstein über das ganze Oberschiff, so dass Boote, Brücke und Kartenraum abbrannten. Um nicht zu sinken Beteiligten wir uns an der Löschung, aber Grübelnd über die schlechte Löhnung (ungewisse Zukunft!), strengten wir uns nicht allzu sehr an, um sehr viel vom Deck zu retten. Das war Leicht wieder aufzubauen mit einigen Kosten, sie hatten ja genug Geld gespart an unserer Löhnung.
Allzugrosse Mühen in der Mitte des Lebens Machen die Männer rasch alt und untüchtig zum Lebenskampf.
So brannten, weil wir unsere Kraft sparen mussten eines schönen Tages die Dynamos aus, die Pflege brauchen welche von unlustigen Leuten nicht geliefert wird. Wir waren jetzt ohne Licht. Zuerst benutzten wir Öllampen Um nicht mit andern Schiffen zusammenzustoßen, aber Ein müder Maat, entmutigt durch die Gedanken an sein freudloses Alter, warf die Lampen, um Arbeit zu sparen über Bord.
Um diese Zeit, ein wenig vor Madeira fing das Fleisch an zu stinken im Kühlraum durch das Versagen der Dynamos. Unglücklicherweise Pumpte ein zerstreuter Matrose statt des Schlagwassers beinahe alles Frischwasser aus. Es gab noch zum Trinken aber nicht mehr genug für die Kessel. Wir mussten also für den Dampf Salzwasser nehmen, und dadurch wiederum wurden die Röhren uns mit Salz verstopft. Sie zu reinigen kostete allerhand Zeit. Es wurde siebenmal nötig.
Dann gab es Bruch im Maschinenraum. Grinsend flickten wir das wieder zusammen. Die Oskawa schleppte sich langsam nach Madeira. Dort war keine Gelegenheit, Reparaturen zumachen von dem Umfang wie es jetzt schon nötig geworden war. Wir nahmen nur etwas Wasser auf, einige Lampen und ein wenig Öl für die Lampen. Die Dynamos waren, scheint’s vollständig ruiniert, infolgedessen Arbeitet das Kühlsystem nicht, und der Gestank des faulenden Gefrierfleischs wurde unerträglich für unsere angegriffenen Nerven.
Der Schiffer ging nur noch mit einem Revolver an Bord herum – ein Zeichen beleidigenden Misstrauens! Einer von uns über diese unwürdige Behandlung ausser sich liess endlich einen Schuss Dampf in die Kühlröhren, damit das verdammte Fleisch Wenigstens gekocht wurde. An diesem Nachmittag sass die ganze Mannschaft und rechnete fleissig was die Ladung den United States kosten würde. Noch vor Ende der Reise gelang es uns, unsern Rekord sogar zu verbessern: an der Küste von Holland ging das Brennöl plötzlich aus, so dass wir unter grossen Kosten nach Hamburg abgeschleppt werden mussten.
Das stinkende Fleisch machte unserm Schiffer noch viel Sorge, das Schiff kam auf den Knochenhof. Jedes Kind, meinten wir konnte so sehen, dass unsere Löhnung wirklich zu klein gewesen war.
Notiz:
Das Gedicht “Abbau des Schiffes Oskawa durch die Mannschaft“ ist aus der Gedichtsammlung Svendborger Gedichte (1939). Die Gedichtsammlung ist nach der gleichnamigen dänischen Stadt benannt, in der Brecht während seines Exils vom nationalsozialistischen Deutschland lebte.
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